Karin Reddemann: Goethe gut


Goethe gut
© Karin Reddemann

Karin Reddemann: Gottes kalte GabeDer Hohlkopf legt sich doch glatt mit Goethe an! Dachte Frank Stewermann und beugte seinen Oberkörper weit, ganz weit nach vorn, um Dr. Klaus-Ernst Haferkott so nah wie möglich zu sein. Er war klein und dick, streng genommen hässlich auch noch. Aber ein Krieger. Kurzfristig fiel ihm sein Zwiebelmettbrötchen ein. Das roch der Typ jetzt wohl. Geschah ihm recht. Wirkte verwirrt. Vielleicht war ihm übel.
Dr. Haferkott rückte von ihm ab, glotzte ihn aus seinen blöden blauen Augen an, räusperte sich. „Sehe da jetzt keinen Zusammenhang, Herr Stewermann. Wie kommen Sie darauf, ich hätte etwas gegen Goethe? Was hat der mit Ihrem Roman zu schaffen?“
Du Idiot. Du stinkiger Banause. Schimpfte Stewermanns Kopf sachlich. Siehst Du Flachwichser von Verleger das nicht auf einen Blick? „Hier. Lesen Sie das mal.“ Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Textpassage, die ihm besonders wichtig war: „(…) und Willtrud schleuderte Willibald ihr wollüstiges Wünschen mit den wilden Worten entgegen: ‘Mir wird, bei aller Kritik, doch oft um Hirn und Titten bang. Egal. Nur zu. Fick mich!’“
Haferkott, der Depp, entfernte seine Brille aus seinem Gesicht und putzte sie umständlich mit dem Zipfel seiner purpurroten Strickjacke.
Selbstgestrickt, alles klar, 68er, hat’s mit dem ollen Grass, die linke Bazille. Kennt Mutter Ajas Hätschelhänschen gar nicht. Dachte Stewermann und freute sich kurz, weil er selbst so klug war und dieser Haferkott so offensichtlich doof. „Faust. Der Wagner sagt das auch. So ungefähr. Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben, doch oft um Kopf und Busen bang. Müssten Sie doch wissen.“
Haferkott winkte müde ab. Er brauchte schwarzen Kaffee und einen normalen Menschen an seiner Seite. Keifte nach Edeltraud Mührhoff im Vorzimmer, die wieder ganz und gar unmöglich angezogen war, ärgerte sich. Wieso war die nicht chic? Fette Brüste, kurzer Rock, das wär’s doch. „Nachschenken“, keifte er, dann: „Gott. Stewermann. Faust. Haben Sie da etwa geklaut oder was? Soll ich das gut finden?“
Stewermann schubbelte mit seinem Hintern auf dem Stuhl hin und her. Her und hin. Verschenkte Zeit. Kostbare Zeit. Was für eine Frage. „Nein.“ Sagte er und verschränkte die Arme vor der feinkarierten Brust. „Nicht geklaut. Sinngemäß übernommen. Zeitgemäß angepasst. Überlegen Sie doch bitte, bevor Sie sich äußern. Alle menschlichen Fehler sind Ungeduld, Verehrtester.“ Bah, machte sein Bauch.
Haferkott sah ihn dumpf an.
Hohe Denkerstirn, schreit nach Verstand, aber die Maske fällt, es bleibt der Mensch. Und was für ein Arschgesicht von Mensch. Rousseau. Ode à la fortune. Dachte Stewermann und sagte: „Kafka. Das mit der Ungeduld ist von Kafka.“
Haferkott schluckte schlechten Kaffee, die Mührhoff konnte was erleben, verschluckte sich, verfluchte Edeltraud, lieber noch diesen Stewermann, schwor sich erneut, ihn wegwegwegzujagen und lächelte eisig. „Wie schön. Kafka. Wen haben wir denn noch?“
Stewermann lächelte erfreut zurück. „Lessing, mein Guter. Seite dreiundsiebzig. Mittig. Haben Sie’s? Ottokar und Lissbett. Ich zitiere: Und der Mond brannte ihm sonnenklar ins Gesicht. Sie hatten gevögelt. Sie jammerte wie ein kleines Vöglein. Er schleuderte Jupiter seinen Unmut entgegen, die Nase an die Scheibe gepresst. Erwägen! Erwägen! Ich erwäge, verdammt noch mal, dass es hier nichts zu erwägen gibt. Jetzt mach’ die Beine wieder breit, Lissbett! Ich liebe Dich.“
Haferkott träumte von einer Zigarette. Wieso hatte er den ganzen Scheißladen eigentlich zur nikotinfreien Zone erklärt? Er war der Chef. Er wollte jetzt rauchen. Die Mührhoff pafft, dachte er glücklich, die soll mir eine geben. Die hat welche, die darf hier nicht, aber ich. Vorher schmeiß ich den Stewermann raus. Vorher frag’ ich ihn, welchen Therapeuten er hat. Muss ein ganz armes Schwein sein. Er zupfte an seinem grünen Manschettenknopf. Scheußlich grün. Freeeeda! Du bist meine Frau. Wer hat Dir erlaubt, mir so was zu kaufen? Wer befiehlt mir, so was zu tragen? MUSS ist ein bitter Kraut. Eine harte Nuss. Wer hat das gesagt? Haferkott war irritiert. Nietzsche? Oder Klaus-Dieter Pötter, sein zugekokster Jungautor? Konzentration, Junge. Doktor Junge. Sagte er sich streng und runzelte die Stirn. „Diese verquirlte Kacke hat Lessing nicht geschrieben.“
Stewermann grinste. Hab’ ihn! Kennt sich wohl in Weltliteratur so gar nicht aus, der promovierte Hosenscheißer. Verkennt, verurteilt mich, und hat keine Ahnung. Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz. Nein. Zu banal. Das weiß jeder Kartoffelbauer. Grillparzer ist besser. Ein Dummkopf bleibt ein Dummkopf nur für sich in Feld und Haus, doch wenn Du ihn zum Einfluss bringst, so wird ein Schurke draus. Besser noch: Ein Oberarschloch. Den Haferkott krieg’ ich. Den Vertrag krieg’ ich. Weiß nicht mehr weiter, der Sack. Der Furz. „Odoardo. Lessing. Emilia Galotti. Das Erwägen, das ist von ihm. Ich erwäge, dass es hier nichts zu erwägen gibt. Habe ich …“
Weiter kam er nicht. Haferkott fiel ihm ins Wort. „Ich weiß. Entnommen und abgeändert. Hören Sie, Herr Stewermann, Ihr Roman passt wirklich nicht in mein Konzept.“ So. Ruhe jetzt. Wegwegweg. Meinte er.
Von wegen. „Ihr geistiges Vermögen der Verknüpfungen der Vorstellungen mit Bewusstsein sollten Sie überdenken.“ Stewermann schnäuzte kräftig in sein Taschentuch. Wischte sich die Nase ab, ließ einen kleinen gelben Klumpen am linken Flügel hängen, der Haferkott kurz aufstoßen ließ.
Er rülpste kurz und fasste sich. „Wovon faseln Sie, Mann?“

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Karin Reddemann: Gottes kalte Gabe
Karin Reddemann
Gottes kalte Gabe
ISBN 978-3-9809336-3-6

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